Die diesjährige  Mitgliederversammlung muss am Sonntag wegen der Corona-Krise ausfallen. Werner Janning , Vorsitzender des Heimatvereins Wettringen, zeigt daher schriftlich denkwürdige Parallelen zwischen der jeweils letzten Märzwoche 1945 und 2020 auf:

Das Corona-Virus hat uns fest im Griff , das öffentliche Leben ist weitgehend lahm gelegt. Wie wird es weiter gehen? Was wird Ostern sein?

Vor 75 Jahren , im März 1945, stellten sich die Wettringer Bürger die gleichen Fragen. Damals ging es nicht um die unsichtbare Gefahr einer Epidemie, sondern um die ungewisse Zukunft am Ende des furchtbaren  Zweiten Weltkrieges. Die Nazi-Herrschaft  ging dem Ende zu, die alliierten  Truppen  - im Münsterland die Engländer - rückten unaufhaltsam in Deutschland vor. Wird es noch zu Kämpfen kommen? Wie werden sich die Besatzer verhalten? Dass es noch fanatische , unbelehrbare Nazis gab, beweist ein kleiner Zwischenfall an der Metelener Straße . Ein Anwohner  wollte das  damalige Straßenschild „Adolf-Hitler-Straße“  an seinem Haus entfernen, ein  SS-Kradfahrer hielt ihn  mit vorgehaltener Pistole davon ab.

Am 31.3.1945 rückten englische Panzer von Burgsteinfurt her in Wettringen ein. Nicht zuletzt wegen einer Panzersperre auf der Burgsteinfurter  Straße nahmen sie Maschinengewehre und Flak im Ortskern unter Feuer. Sechs Häuser wurden beim Einmarsch zerstört oder stark beschädigt (Abbing, Welp und Henrichsmann  auf dem Hügel,  Wirtschaftsgebäude des Krankenhauses, Müller Termühlen im Andorf, Merker-Scheiper  am Bilker Postdamm). Einige junge Männer hatten in den letzten Kriegstagen die Keile  einer schweren Panzersperre an der Hügelstraße festgenagelt, so dass diese nicht mehr eingesetzt werden konnte. Sicherlich wurden durch diese mutige „Sabotage“  weitere Kampfhandlungen verhindert.
Viele Einwohner suchten in den Kellern Schutz.. SS-Streifen tauchten auf, um die Übergabe des Dorfes zu verhindern. Mut bewies auch der englisch sprechende Harry Engels,  der den Kontakt zu den englischen Soldaten suchte. Um den Ort vor Zerstörung zu schützen, hisste  er mit anderen  verantwortungsbewussten  Männern auf dem Kirchturm die weiße Fahne.
Es kam nicht mehr zu Kämpfen, aber am Karsamstag 1945 dennoch zu einem großen Unglück: Fünf Schulkinder hatten sich an einem deutschen Armeewagen zu schaffen gemacht, der kurz vor Maxhafen im Straßengraben lag. Bei der Explosion der im Wagen befindlichen Munition starben alle fünf Kinder.

Am Ostermontag quartierten sich  die Engländer im Ort ein, ein zunächst verhängtes vollständiges Ausgehverbot wurde schnell gelockert. Die Besatzungssoldaten verhielten sich weitgehend  korrekt und oft sehr freundlich gegenüber den Kindern. Allerdings kam es  in den Folgemonaten zu etlichen  Plünderungen und Rachezügen durch ehemalige Zwangsarbeiter und KZ-Insassen. Über 400 englische, belgische, französische, und polnische Soldaten quartierten sich in Wettringen für einige Monate ein. Untergebracht wurden sie in Rottmanns Zigarrenfabrik, in der Mädchenschule an der Kirche , aber auch in  vielen Privathäusern.
Harry Engels wurde von der englischen Militärregierung  zunächst als Bürgermeister eingesetzt, von April 1946  bis zu den ersten freien Gemeindewahlen am 15.9.1946 war er Gemeindedirektor.

Im Zweiten Weltkrieg fanden 232 Wettringer den Tod, 220 Soldaten und 12 Zivilpersonen, 131 Personen gelten als vermisst. Viele über 80 Jahre alten Bürger erinnern sich noch an die damalige schlimme Zeit. Für  viele Menschen der jüngeren Generationen ist die über 75 Jahre lange  Friedenszeit und ein Leben in Freiheit leider allzu selbstverständlich.

Die letzte Märzwoche 2020 mit der ständig wachsenden Infektionsgefahr wird sicherlich allen in Erinnerung bleiben. Was erwartet uns zu Ostern 2020?,. Ob der unsichtbare Corona-Feind eingedämmt oder sogar besiegt werden kann, hängt entscheidend vom  Verhalten eines jeden Einzelnen ab. Die große Ernüchterung, die Einsicht, dass in unserer hoch organisierten und geplanten Welt doch nicht alles kontrollierbar, sicher  und lenkbar ist, wächst von Tag zu Tag. Die Sorge um die  soziale  Zukunft angesichts der lahm gelegten Wirtschaft ist berechtigt.
Aber die erzwungene Entschleunigung sowohl des gesellschaftlichen als auch des privaten Lebens  hat anscheinend zu mehr  Verantwortungsbewusstsein und sozialer Sensibilität geführt.

26.3.2020
Werner Janning
(Vorsitzender des Heimatvereins)